September 02, 2001

Uma boa semana pra vocês !

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Rundgang in der Favela Jacarezinho mit Dietmar Starke (rechts)

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Rocinha - die größte Favela Lateinamerikas

Donna Teresa und Maria Teresa Leal, die beiden Gründerinnen von COOPA ROCA

Die neue Generation von Coopa Roca

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Energieversorgung

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Das Theater von "Nos do Morro"

Der Christo auf dem Corcovado (Foto Michael Wesely)

Der Blick vom Corcovado auf Rio de Janeiro


Hallo liebe Leute ! Da isser wieder, der Infobrief aus Rio de Janeiro! Ich hab wieder ziemlich viel erlebt, diese Woche und die verschiedensten Impressionen aufgesogen.
Zuerst einmal musste ich eine mittelschwere Erkältung überwinden, die anscheinend obligatorisch ist, wenn man hier ankommt. Die Umstellung auf das Klima und den Wechsel zwischen brütend heiß und klimaanlagenkalt ist der gleichtemperierte europäische Körper erstmal nicht gewohnt. So gab ich mir erst mal den Vitaminstoß, was angesichts der Fruchtvielfalt nicht so schwer ist. Mittlerweile habe ich auch meine eigene kleine „blaue Kammer“ in die ich mich zum ausruhen zurückziehen kann. Fernando bei dem ich wohne unterrichtet Deutsch am Goetheinstitut und ist wirklich ein ganz netter. Am letzten Sonntag sind wir mit seinem Freund Roger zu Paulo Mattus gefahren, der für uns ein leckeres bahianisches (Nordostbrasil.) Essen zubereitet hat. Paulo ist ein brasilianischer Kulturmanager der grad ein Clownsfestival im Norden organisiert. Überhaupt ist dies die Woche der Einladungen gewesen. Natürlich möchten einige Leute hier in der Kunstszene die Künstler des Favelaprojektes kennen lernen und da ich tagsüber mit ihnen unterwegs bin, werde ich gleich miteingeladen. Zur Zeit arbeiten zwei Künstler vor Ort: Michael Wesely, der Fotograf den ich schon am Flughafen kennen gelernt habe und Golo Gott, ein Videokünstler, der diese Woche dazukam. Beide wohnen übrigens in Berlin.
Michael Fahres, ein Soundkünstler, hat seine Arbeit hier schon abgeschlossen und wird von Holland aus an seiner Installation weiterarbeiten.
Für die ersten Beiden habe ich in den letzten Tagen Treffen mit den Menschen organisiert, die hier in den Favelas kulturell arbeiten. Über sie und ihre Arbeit sind wir an Informationen und Rundgänge gekommen. Ich werde sie Euch einfach mal vorstellen.
Da wäre zuerst einmal Guti Fraga. Er leitet eine Art Kulturhaus in der Favela Vidigal mit dem schönen Namen >Nós do Morro< (Wir vom Berg), wo Kinder und Jugendliche Theater machen, Videokurse belegen, Capoeiraausbildung erhalten und ganz normalen Unterricht bekommen. Das dies auf einem ziemlich hohen Level geschieht, konnte ich heute bei einer Vorführung in seinem kleinen neuen Theater erleben, das er in langjähriger Arbeit mit Unterstützung von niederländischen Organisationen und Petrobras in der Favela errichtet hat. 34 Darsteller, bis auf wenige Ausnahmen im Alter 5 – 15, zeigten auf einer 4mx4m-Bühne ein Stück, das in der Zukunft spielt. Es war fantastisch anzuschauen, wie sie den wenigen Platz, der zur Verfügung stand genutzt haben und dabei vollen Körpereinsatz zeigten. Natürlich war die Zukunft eine hilfreiche Brücke, um Probleme der Gegenwart zu bearbeiten und damit war die Aussage sehr politisch und gegen Machtmonopole gerichtet.
Mit uns war eine Frau, die in der größten Favela Rio´s (Roçinha, 200.000 Einwohner) vor 19 Jahren eine Kooperative namens COOPAROCA gegründet hat. Sie heißt Maria Tereza Leal und wird von allen nur Teté genannt. Sie ist sehr engagiert und hat ein einfaches und doch so sinnvolles Konzept. Sie leitet ein Netz von Handarbeiterinnen in der Favela, die aus Textilresten mit Hilfe von speziellen Techniken aus Nordostbrasilien Mode herstellen. Der Clou ist, die Frauen müssen ihr Umfeld nicht verlassen, haben eine Einnahmequelle und damit eine gewisse Selbstständigkeit. Außerdem fungiert das Haus von CoopaRoca als soziales Zentrum, wo mittlerweile die zweite Generation (ca. 12-16 Jahre) Ausbildung in gesundheitlichen und Sexuellen Fragen erhält. Leider wird sie von der Stadt Rio nicht mehr unterstützt, so dass sie Probleme mit der Bezahlung der Lehrer hat. Sie ist auf private Zuwendung angewiesen und sucht die Öffentlichkeit.
Mit dieser Gruppe arbeitet gerade der Fotograf Wesely. Er brachte aus Deutschland 20 Minidigitalkameras mit, die er letzte Woche an die Mädchen ausgab. Voraus ging eine Erklärung seiner Idee: Die Mädchen haben 20 Bilder pro Kamera zur Verfügung und sollen Fotos machen von dem, was für sie >zu Hause< bedeutet. Am Dienstag erhält er die Kameras – hoffentlich;-) - zurück und druckt dann für die Mädchen die Bilder aus.
Ich bin schon sehr gespannt auf die Ergebnisse.
Am Mittwoch werden wir noch Carmen Luz besuchen. Sie hat ein Tanzprojekt in der Favela Andarai und wir haben auch schon ein Stück von ihr und einem deutschen Choreographen gesehen.
Am letzten Freitag besuchten wir den mittlerweile vierten Morro – Jacarezinho. Er galt lange Zeit als der gefährlichste Rio´s. Hier hat die Stadt Rio ein Projekt an dem auch das Bauhaus beteiligt ist. Der Plan ist, nach und nach einzelne Strassenzüge zu gewinnen und eine Art kriminalitätsfreies Netz zu errichten. Zusammen mit dem Bauhaus soll eine Art indianisches Dorf errichtet werden, also einzelne Gebäude mit kultureller Funktion.
Dies ist ein Repräsentationsprojekt des Bürgermeisters und damit ist die Akzeptanz in der Favela nicht sehr groß. Dietmar Starke (Stadtverwaltung & Bauhaus), der uns durch Jacarezinho führte war sehr emotional und kämpferisch eingestellt.
Wenn diese Woche vorüber ist, werde ich erst einmal die vielen neuen Eindrücke verarbeiten müssen. Zum Glück ist das folgende Wochenende einen Tag länger, Brasilien feiert nämlich am 7. September seinen Nationalfeiertag, das heißt, den Gedenktag an die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht. Gestern konnte ich mir schon einmal eine Orientierungshilfe in Form der Draufsicht schaffen – durch eine Fahrt auf den Corcovado, wo der Christo Redentor draufsteht. Das hatte ich im letzten Jahr nicht mehr gemacht, um noch was zu haben, wenn ich wiederkomme ;-).
Der Blick von da oben ist gigantisch und ich hab versucht ein Panoramabild zu machen.
Falls das als E-Mail–Anhang nicht so richtig zur Geltung kommt, muss ich mir was anderes einfallen lassen...
Die ersten beiden Wochen sind ziemlich schnell verflogen und ich bin gespannt wie das in der nächsten Zeit weitergeht. Zeit ist hier sowieso was ganz Spezielles. Ich hatte immer gedacht, für mich ist Brasilien das richtige land, wegen dem lockeren Umgang mit Pünktlichkeit. Leider musste ich feststellen, das ich plötzlich als penibler “Pünktlichkeitssack“ dastand. Irgendwie hat das sicher mit meiner Unsicherheit zu tun, die ich durch einen genauen Zeitplan versuche zu kompensieren. Es ist aber hier wirklich gängig es mit Verabredungen nicht so super genau zu nehmen, und auch nicht sauer zu sein, wenn etwas mal nicht klappt. Wahrscheinlich würde man das bei der Menge an unvorhergesehenen Geschehnissen hier auch gar nicht durchhalten. Tudo vai dar certo! Zu deutsch: Alles wird gut! Das kann, wenn man europäische Arbeitsweisen bevorzugt zu ernsten Komplikationen führen. Man muss sich halt darauf einstellen, das man ungefähr die doppelte bis dreifache Zeit für alles braucht. Allerdings gibt es auch hier Leute die absolut zuverlässig sind. Das sind natürlich die, die auch Erfolg haben wollen, mit dem was sie tun. Ob es für Geld oder Ideale ist, spielt dabei keine Rolle.
Ich hoffe, das Ihr Euch in Eurem momentanen Zeitgefüge gut zurechtfindet und bedanke mich noch mal bei allen, die mir rückgemailt haben. Es tut gut zu wissen, was Ihr so treibt und das Entfernung so relativ sein kann ;-).
Genießt den September - hoffentlich recht gülden!

Ich grüsse Euch & sage

Tschao gente & Até mais!

Axel

axel at September 2, 2001 12:58 PM

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