December 02, 2001

Advent, Advent...

papanoel.jpg

natal.jpg

riofilm.jpg

riobusfinal.jpg

riobusbotafogo.jpg

riobushenrique

schuhputz.jpg

siesta.jpg

Man mag es kaum glauben und es ist für mich wirklich ungewöhnlich, aber auch bei Temperaturen um die 30°C kann man Weihnachtsschmuck aufhängen. Es fing irgendwo mit einem Tannenzweig oder einem Goldstern an und breitete sich unaufhaltsam über die ganze Stadt aus. Jetzt schmückt selbst unseren Hausflur eine kleine Weihnachtstanne. Wäre sie nicht da, so würde ich morgens mit der Gewissheit aus dem Haus gehen, es wäre Mitte August, weil jemand seit über drei Monaten die Zeiger der Wetteruhr anhält.
Das wäre doch mal ein interessantes Untersuchungsfeld für Mediziner und Psychologen: Inwieweit hat sich der menschliche Organismus an den Jahreszeitenrhythmus der Klimazone, in der er lebt, angepasst? Denn spannenderweise vermeine ich seit ungefähr einem Monat das Bedürfnis nach mehr Ruhe und innerer Besinnung und mehr Schlaf zu verspüren, ganz so wie jedes Jahr im November, wenn in „Good-Cold-Germany“ die Natur zur Ruhe kommt und alles was sonst kreucht und fleucht ein Winterpäuschen einlegt.
Allerdings steht dieser natürliche Drang im starken Gegensatz zur derzeitigen brasilianischen metereologischen Realität. Hier ist gerade schönster „Frühling“ und ich frage mich ernsthaft, wie ich erst den Hochsommer überstehen soll, wenn ich jetzt schon einen Ventilator brauche um Nachts ein paar REM-phasen zu erhaschen!!! Es ist ein bisschen so als hätte ich meine „innere Eieruhr“, als sie kurz vor dem Klingeln war, noch einmal bis zum Anschlag aufgezogen.
Natürlich war es nicht nur das sich ausdehnende Quecksilber im Thermometer, was mich davon abhielt ein paar Gänge tiefer zu schalten, sondern auch die pulsierende Metropole >Quente de Novembro< und die mir selbstauferlegte Aufgabe, ihr etwas filmisches Material abzuringen. Dieser körperliche und psychische Stress hat denn auch dazugeführt, dass ich meinen ersten richtigen „Riokoller“ bekommen habe. Ein bisschen zu viel Sonne, ein wenig zuviel gegessen, etwas knapp geschlafen und womöglich noch den Magen verdorben und schon brach mein Kreislauf in Stücke. Fiebrige Träume von Menschengewimmel und eng gebauten Häusern und das Gefühl von brennend heisser Haut waren die Folgen. Tja, das gehört dann wohl mit dazu und passte wunderbar in den Zeitplan, denn in den kommenden Tagen feiere ich das Bergfest meines Brasilienaufenthaltes und so eine körperliche Reaktion ist ja auch irgendwie eine natürliche Reinigung.
Leider und zu meiner großen Enttäuschung muss ich sagen, das unsere, wie ich jetzt weiß, hohen Erwartungen, was das Filmische anbelangt, unter den gegebenen Umständen unrealistisch waren und wir von dem vorgenommenen Pensum nur einen sehr geringen Teil umsetzen konnten. Was im einzelnen die Gründe dafür waren, muss nocheinmal aus gebührendem Abstand untersucht und analysiert werden. Im Moment ist das alles noch sehr dicht und ich muss es erst noch „sacken“ lassen. Fakt ist jedoch, daß weder das „Jugendszenen-Projekt“ noch der „Riobus-film“ abgeschlossen werden konnten. Ersteres aus mangelnden Drehmöglichkeiten und nicht geklärtem Drehbuch und zweiter aufgrund von unterschätztem Aufwand, schlechten Witterungs- bzw. Lichtbedingungen, wiedrigsten Drehbedingungen sowie einem zum Glück missglücktem Kameradiebstahlversuch, bei dem ein wichtiger Filter zu Bruch ging. Immerhin gibt es Material, was zu einem Piloten reicht, für eine komplette Doku oder einen Kurzfilm ist es aber zu dürftig. Letztendlich bleibt ein Projekt, daß eher eine Zusatzidee Hans-Peters war und nun als einziges Produkt abgeschlossen wird: ein kurzer Film über das Warten oder auch eine Studie über ausgewählte Menschen in Rio, die alle eins verbindet – die Hoffnung auf etwas, das ihren Alltag am Laufen hält.
Ich habe trotz aller Entäuschung aber immerhin die Gewissheit, wiedereinmal mehr wichtige Erfahrungen gesammelt und interessante Erlebnisse gehabt zu haben. ich glaube auch auf diese Weise mehr über diese Stadt und die Menschen, die in Ihr leben erfahren und ein wenig unter die Oberfläche geschaut zu haben.
Ich hoffe, daß Ihr die Zeit der „inneren Einkehr“ zu Eurem Vorteil nutzen könnt. Ich jedenfalls weiß jetzt, wie wichtig es ist, hin- und wieder inne zu halten, selbst wenn alles um mich herum hetzt und wetzt, die Sonne brennt und die Stimmung steigt, weil der Sommer kommt und mit Ihm ein Fest, welches hier zu Hause ist. Es ist zwar noch ein Weilchen hin, aber die Vorbereitungen sind bereits in vollem Gange und jeden Samstag wird geprobt, was das Zeug hält. Die Rede ist, wie kann es anders sein – vom Carnaval do Rio!
Ich gestehe es ein: seit letztem Samstag bin auch ich ein „Sambista“, auch wenn ich noch fleissig üben muss und Zweifel habe, meine Füsse jemals so flott zu den heissen Rhythmen bewegen zu können wie die naturtalentierten Cariocas. Denn eins muss man den Brasilianern ja, bei allen nicht bestätigten Klichés ja lassen: Feiern können sie! Und zwar mit einem Enthusiasmus und vor allem einer Friedfertigkeit, von dem sich jedes grosse Volksfest in unseren Breitengraden eine Scheibe abschneiden kann. Ich schlage vor, sämtliche Teilnehmer dieser obskuren Kundgebung am Samstag in Berlin, von der hier leider sehr wohl Notiz genommen wurde (glücklicherweise auch von der Gegenkundgebung), nach Rio einzuladen, damit sie ihre düsteren und zerstörerischen Gedanken in Samba umwandeln und merken, wie klasse es ist, mit Menschen unterschiedlichster Hautfarbe und kultureller Herkunft zu tanzen zu singen und Spass zu haben. Ihre Stiefel zögen sie dann von selber aus, denn in denen würde man hier entsetzliche Schweissfüsse kriegen und das wäre doch peinlich für jeden „sauberen“ Deutschen! Wenn sie dann noch einen Strandbesuch machen würden, hätten sie eh kaum noch Platz im Hirn für dumme Gedanken, weil andere Körperteile viel mehr Aufmerksamkeit verlangen würden ;-).
AiAiAi – da kommt schon wieder der Idealist im Axel zum Vorschein! Wenn alle Probleme so einfach zu lösen wären, würden wir wohl kaum in dieser mittelschweren Weltkrise stecken. Kann mir eigentlich jemand meine schriftlich bestätigte Ausmusterung schicken, damit ich keine Angst haben muss, nach meiner Rückkehr schon wieder das Land verlassen zu müssen? Schwarzer Humor beiseite, Ich wünsche Euch Allen auch diesesmal FRIEDLICHE TAGE & NÄCHTE und vor allen Dingen eine BESINNLICHE ADVENTSZEIT!


Abraços und Beijos
von
Axel aus Rio!!!

axel at December 2, 2001 06:35 PM

top of page

Read more:

« Beschleunigte Zeit (older) | TSCHAO Ano Velho ! – BEMVINDO Ano Novo ! (newer)  »


Recent Entries

Search


jump to navigation | Zur Navigation springen